Internationale Lösungen für eine bessere Work-Life-Balance, Teil 3: Warum "Leadparenting" erfolgreicher macht und die Scheidungsraten senkt

Es ist nicht das Telefongespräch mit einem wütenden Kunden, auch nicht die unreflektierte Beurteilung vom Chef oder gar der tägliche Stau bei der Heimfahrt: Die schwierigsten Momenten im Arbeitsalltag sind häufig die ersten 15 Minuten Zuhause, nachdem beide Partner über die Türschwelle getreten sind, Bürotasche und Mantel abgelegt haben und genüsslich in die Hausschuhe schlüpfen.

 

 

 Genau dann knallt es zwischen beiden oft gewaltig. Der noch immer erhöhte Adrenalinpegel kollaboriert unheilvoll mit unterschiedlichen Erwartungen an das perfekte Abschalten. Der eine will reden, der andere möchte sich gerne mit einem Bier und dem Sportteil der Tageszeitung zurückziehen.

 

Wenn beide sensibel aufeinander eingehen, wird die abendliche Erholung beschleunigt. Wenn beide das versäumen, kommt es schnell zum finalen Showdown. Der Abend ist gelaufen. "Wir erarbeiten uns als Führungskraft und Manager all diese tollen zwischenmenschlichen Skills", schreibt der amerikanische Coach Ed Batista in der Harvard Business Review, "aber wir werfen diese Skills aus dem Fenster, sobald wir nach Hause kommen. Dabei sind sie dort am wertvollsten." 


Grund für Streits sind nicht selten die berühmten herumliegenden Socken. Die Diskussionen um Haushaltspflichten eskalieren ganz besonders schnell zwischen Paaren, die das Thema gleichberechtigte Arbeitsteilung Zuhause noch nicht genügend und grundlegend ausdiskutiert haben.

 

---- Das Private ist politisch ----

 

"Das Private ist politisch" lautete das Motto der Frauenbewegung in den 70er Jahren. Und es ist aktueller den je. Frauen sind auch in den Industrieländern noch immer diejenigen, die am meisten unbezahlte Arbeit leisten, selbst dann, wenn sie genau so viele Stunden Lohnarbeit nachgehen wie ihr Partner. Dass das zu mehr oder weniger starken Karrierenachteilen führt, liegt auf der Hand.

Hierzulande wird das häufig noch schulterzuckend als unangenehm, aber als nicht weiter veränderungsbedürftig diskutiert. In den USA dagegen verläuft die Debatte um 50/50, die gerechte Arbeitsteilung Zuhause, heftig und nachhaltig. Auf dem Buchmarkt ist eine große Fülle an Ratgebern zum Thema erschienen. Politikerinnen, Unternehmerinnen und Managerinnen bemühen sich ganz bewusst, ihre Probleme Zuhause in die Öffentlichkeit zu bringen.  Denn der amerikanische Staat lässt Familien in Sachen Vereinbarkeit weitgehend alleine. Nur die hippen Unternehmen kümmern sich um Elternzeit und Krippenversorgung. Der Rest quält arbeitende Eltern mit einer starren Präsenz- und Überstundenkultur. Umso interessanter ist es, welch kreative Lösungen Paare in Übersee entwickelt haben, sich in den ersten 15 Minuten nach Feierabend nicht regelmäßig den privaten Kleinkrieg zu erklären.

---- Die zweite Schicht ----

Wer sich viele von diesen mühsam ausgeklügelten Work-Life-Balance-Konzepten anschaut, möchte danach sagen: "Don't try this at home." Denn wenn beide Full-Time-Jobs nachgehen, häufig Überstunden leisten und gleichzeitig die Kinder großziehen, ohne sich auf eine gute öffentliche Infrastruktur verlassen zu können, hat eigentlich den EInzug in die "Hall of fame" verdient. Die amerikanische Soziologin Arlie Hochschild spricht von "second shift", der zweiten Schicht, die Eltern nach der Arbeit Zuhause erwartet. Sie wundert sich nicht, dass viele angesichts der häuslichen Arbeitslast lieber noch eine Stunde länger im Büro bleiben und die Arbeit als erholsamer emfpinden.

Trotz all der Widrigkeiten: viele schaffen es, dank eines eines guten privaten Unterstützungsnetz oder eines satten doppelten Verdienstes, mit dem sich qualifizierte Babysitter und Haushaltshilfen finanzieren lassen. Es gibt kaum etwas, was sich an häuslichen Arbeiten nicht outsourcen lässt. Die Amerikaner sind Weltmeister darin. Die Wäsche, Hausaufgabenbetreuung, Gartenarbeit, das Gassi-Gehen mit dem Hund und vieles mehr. Katrina Alcorn beschreibt dies tragik-komisch in ihrem Buch "Maxed Out". Wer genug verdient, verschafft sich durch diese privaten Dienstleistungen persönlichen Freiraum. Das alles zu organisieren, erfordert allerdings ein gewisses Talent, und verlagert das Problem häufig nur für einen gewissen Zeitraum. Unvorhergesehene Zwischenfälle, die Krankheit des Kindes zum Beispiel, bringen das komplizierte Konstrukt schnell ins Wanken. Es ist kein Wunder, dass überdurchschnittlich viele Frauen in den USA für einige Jahre komplett aus dem Beruf aussteigen.

---- Frauen können immer noch nicht alles haben, Männer auch nicht ----

Warum diese beiden Extreme eigentlich nicht sein müssen, erklärt die Jura-Professorin Ann-Marie Slaughter in ihrem Buch "Was noch zu tun ist". Die einstige Planungsstabschefin von Hillary Clinton hatte vor fünf Jahren mit dem Artikel "Why women still can't have it all" international eine Debatte über die Unmöglichkeit der Vereinbarkeit von Karriere und Familie unter den derzeitigen Bedingungen angestossen. Die Mutter von zwei Söhnen war im Frühjahr 2011 von einem anspruchsvollen und einflussreichen Posten in Washington zurückgetreten und auf ihre Stelle als Dekanin in Princeton zurückgekehrt. Sie könne ihrem Mann nicht auf Dauer zumuten, sich fast alleine um die Teenager-Söhne zu kümmern.

---- Leadparenting als Wechselmodell ----

 

Slaughter sagt, zur gleichen Zeit beides für beide, eine steile Karriere und genug Zeit für die Familie, das geht nicht. Einer von beiden müsse immer mal wieder für eine Weile zurücktreten, damit die Familie nicht leidet, idealerweise eben im Wechsel. Slaughter spricht von "Leadparent", mal übernimmt er, mal sie Zuhause die Führung. Einfach ist das nicht und verlangt vor allem Verständnis vom Arbeitgeber, aber auch ein neues Bild von der "idealen Karriereleiter". Die sollte nicht immer steil nach oben gehen müssen, sondern auch Plateuas und Dellen haben dürfen.

Schade ist, dass bisher nur die erfolgreichen Frauen sich trauen, das Private politisch zu machen. Wenn ein Mann in Washington aus "familiären Gründen" zurücktritt, heißt es hinter vorgehaltener Hand, er habe ein Alkoholproblem und müsse in den Entzug. Oft stimmt das leider auch.

Männer, das ist ein klarer Trend, wollen inzwischen auch beides, Zeit für die Familie und ein erfülltes Berufsleben, letzteres nicht mehr um jeden Preis. Die Isländer demonstrieren seit einigen Jahren, dass das Konzept des Leadparent als Wechselmodell auch gesamtgesellschaftlich gut funktionieren kann. Die Bewohner des kleinen Inselstaates sind fest davon überzeugt, dass man damit nicht früh genug anfangen kann.

In Island dürfen Väter ihren Anspruch auf Elterngeld nicht auf die Mütter übertragen. Fünf Monate haben die Männer, fünf Monate die Frauen, nur zwei weitere dürfen sie nach Belieben unter sich aufteilen. Die meisten Väter machen deshalb eine ähnlich lange Karrierepause wie die Mütter. Insgesamt ist die Elternzeit etwas kürzer als in Deutschland, aber sie wird gleichmäßiger verteilt. "Nicht nur Frauen kriegen Kinder, sondern auch Männer", sagte die einstige Wirtschaftsministerin Katrin Juliusdottir. Das Gesetz war von den Vätern eingefordert worden und wurde ohne eine einzige Gegenstimme im Parlament verabschiedet.

Weil die Elternzeit in Island nur minimal transferierbar ist, steigert es die Verhandlungsposition der Väter gegenüber dem Arbeitgeber. Zeit für das Kind ist sein soziales Recht, etwas, das die Mutter für ihn nicht übernehmen kann. Die Mutter wiederum muss ihre Etnscheidung nicht verteidigen, dem Vater eine gewisse Zeit zuzugestehen. Sie ist zudem für die Unternehmen nicht mehr alleiniges Risiko. Die Frauen haben auf dem Arbeitsmarkt dadurch wesentlich gleichberechtigtere Chancen. Es gibt überdurchschnittlich viele erfolgreiche Frauen in Island, in der Wirtschaft und der Politik. 

 

---- John Wayne Modell von Maskulinität ----

 

Außerhalb von Island kommen viele Männer noch immer nicht gut damit klar, wenn ihre Frau erfolgreicher ist als sie selbst. Das beobachten ganz besonders Paartherapeuten. Männer, die mit dem Erfolg ihrer Partnerin Probleme haben, hängen häufig an alten Rollenvorstellungen, "am John Wayne Modell von Maskulinität". Sie sind davon überzeugt, dass Männer die Kontrolle behalten , ihre Emotionen nicht zeigen und auf keinen Fall verletzlich sein sollten. Das tut natürlich ihren Partnerinnen alles andere als gut, ihnen selbst allerdings auch nicht. Machos, ganz besonders wenn sie in tendenziell eher gleichberechtigten Gesellschaften leben, neigen eher zu zu Alkoholismus und Drogenmissbrauch als ihre softeren Geschlechtsgenossen. Sie sind aggressiver, depressiver und ängstlicher. Egalitäre Väter sind grundsätzlich zufriedener mit ihrem Berufs- und Privatleben.

Frauen haben in den vergangenen Jahrzehnten - und das in vieler Hinsicht erfolgreich - Himmel und Erde in Bewegung versetzt, um "Weiblichkeit" neue Definitionen zu verpassen. Bei den Männern steht das noch an. Auch in den meisten westlichen Gesellschaften ist es noch immer so, dass Männern ein grundsätzliches Erfolgstreben zugeordnet wird und die Erwartungen entsprechend groß sind.

Das, was einen "Mann" definiert, ist bisher noch immer ein recht enges Korsett. "Ist es männlicher 80 Stunden zu arbeiten als auch mal zurückzustecken, damit Deine Frau die nächste Beförderung annehmen kann ohne sich um die Kinder zu sorgen? fragt die erfolgreiche amerikanische Unternehmerin Sheila Lirio Marceloin einem Essay.

 

---- Auszeit wird Männern nur als Macho-Abenteuer  gegönnt ----

 

Ähnlich wie die Frauenbewegung in den 70er Jahren steht allerdings auch die zeitgenössische Männerbewegung vor einer dicken Wand an Vorurteilen. Während Mütter weiterhin von massiven Stereotypen im Berufsleben zurückgehalten werden, erfahren Männer, die sich nicht den alten Maskulinitätsnormen ergeben wollen, teilweise noch stärkere Vorbehalte. Oft wird bereits eine kurze Abwesenheit als Schwäche und geringe Leistungsbereitschaft ausgelegt. Wer sich als Mann dagegen Auszeit für einen Marathon oder die Besteigung des Mount Everest nimmt (also Macho-Abenteuer), erhält dagegen Beifall.

Selbst im recht gleichberechtigten Schweden tun sich einige Männer schwer mit den dort nicht mehr ganz so neuen egalitären Rollenmodellen. Ein Radiomoderator aus Stockholm, der sechs Monate Elternzeit beantragt hatte, verriet der New York Times: "Wenn ich mit meiner Frau auf einer einsamen Insel wäre und da wäre außer uns nur Tarzan. Ich würde mich schon fragen, ob sich sich dann immer noch für mich entscheidet."

 

---- Sinkende Scheidungsraten ----

 

Die meisten Frauen scheinen den Tarzans jedoch den Rücken zu kehren. Die Scheidungsraten in Schweden sinken seit 1995 kontinuierlich, am deutlichsten vor allem bei den Paaren, in denen der Mann vergleichsweise lange für die Familie da ist. Egalitäre Rollenmodelle wirken allerdings nicht nur in Schweden. Forscher der University of Alberta haben in einer Studie herausgefunden, dass deutsche Paare, die die sich die Hausarbeit recht gleichberechtigt teilen, mehr und besseren Sex haben.

Die Wissenschaftler haben für diese Studie 1338 Paare fünf Jahre lang immer wieder zu ihrem Intimleben und ihrer Beteiligung bei der Hausarbeit befragt. Diejenigen, die sich recht gleichberechtigt die Hausarbeiten teilten, fühlten sich nicht etwa durch den Akt des Bügelns angeregt. Sie gaben an, dass sie sich durch rege Unterstützung schlicht gewertschätzt fühlten. Es geht also, wie so oft im Leben, um Respekt. Wenn Mann oder - meist noch immer die Frau - das Gefühl hat, der Partner hängt sich auch Zuhause richtig rein, beugt das Bitterkeit und Ärger vor.

Doppel-Karriere-Paare befinden sich oft in dem Dilemma, immer wieder untereinander schwierige, oft hochexplosive Deals aushandeln zu müssen. Ein tiefgreifendes Verständnis für work und lifte hilft. Und das entwickelt Mann und Frau nur, wenn sie beide Seiten intensiv kennengelernt haben. Eine steile Karriere darf auch Dellen haben. Das gilt aber bitte für beide, Mann und Frau. Der Beziehung tut das gut, den Kindern ohnehin.

 

Teil 1 und Teil 2

 

mehr zum Thema unter www.soziologen-labor.de