Pflichtbewußtsein, Überstunden und starre Rollenmodelle

Warum es rein rechnersich noch 81 Jahre dauert bis Männer und Frauen in Österreich wirtschaftlich gleichauf sind

 

Österreich ist ein sehr wertkonservatives Land. Das betrifft ganz besonders die Familienpolitik und die Vorstellungen, welche Rolle Mann und Frau erfüllen sollten. Der jüngste Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforum platzierte Österreich auf Platz 37, hinter Malawi. Es werde rein rechnerisch noch 81 Jahre dauern, hieß es beim WWF, bis Männer und Frauen in Sachen Beschäftigungsquote und Einkommen gleichauf sind.

 

Das ist eine düstere Prognose für ein Land, in dem sich familienpolitisch mehr getan hat, als die internationalen Statistiken zunächst vermuten lassen. Der Ausbau der Kindergärten und Ganztagsangebote an Schulen wird massiv vorangetrieben. Auch immer mehr österreichische Unternehmen engagieren sich für eine bessere Vereinbarkeit. Trotzdem: Österreich ist und bleibt weiterhin ein Land, in dem es Eltern sehr schwer fällt, Arbeit und Familie miteinander zu vereinbaren.

 

Und das liegt vor allem an drei Problemfeldern:

1. Die Männer arbeiten viel zu viel an ihrem Arbeitsplatz

2. Die Frauen arbeiten viel zu viel unbezahlt Zuhause

3. Kinderbetreuung ist noch immer vor allem Sache der Mütter

 

Die Österreicher sind sehr kinderlieb, die meisten Kindergärten hervorragend ausgestattet. Es gibt viele schöne Spielplätze, tolle Aktivitäten für Kinder. Doch während in anderen europäischen Ländern das Thema Vereinbarkeit fester Bestandteil der öffentlichen Debatte ist, gilt Work-life balance ganz besonders in den abgelegenen ländlichen Gegenden in Österreich als neumodernes Gequatsche. Eltern, in denen beide ein anspruchsvolles Berufsleben haben, müssen sich häufig alleine durchbeißen und sind mit vielen Vorurteilen konfrontiert.

 

Das Kinderdorf Vorarlberg hatte mich in der vergangenen Woche eingeladen, einen Vortrag über Vereinbarkeit von Familie und Beruf in anderen Ländern zu halten. Ich durfte von meinen Erfahrungen als Autorin und Soziologin berichten, die ich international in der Debatte über work-life balance gesammelt habe. Der Saal im ORF Landesstudio Vorarlberg war gut gefüllt, das Interesse daran war groß, wie es die anderen machen, ob nun in Island, Frankreich, den Niederlanden oder anderswo.

 

In Österreich gibt es in Sachen Work-life balance ein starkes Stadt-Land-Gefälle. Das wurde an diesem Abend recht schnell deutlich. Zwar können Eltern in den Dörfern häufig auf starke familiäre Unterstützung bauen. Doch fehlt es meist an einer öffentlichen Betreuungsstruktur, die über den Vormittag hinaus geht. Ganz besonders heikel ist die Situation an Grundschulen. "Meine Tochter hat dreimal in der Woche bereits um 11 bzw. 12 Uhr Schulschluss", erzählte eine Dame. "Wie soll ich da einem vernünftigen Job nachgehen können? Es bleibt alles an den Müttern hängen." Die Kommunen zeigten wenig Verständnis. "Auf die Frage, wie denn Eltern mehr als zwei Monate Sommerferien überbrücken sollen, gibt es nur Schulterzucken. Das sei ja früher auch kein Problem gewesen."

 

Mütter, das sei das einmütige Meinungsbild, haben sich in Österreich halt zu kümmern. Das wird nicht hinterfragt, gilt als selbstverständlich. Dass sie vielleicht überfordert sind, sich ständig aufreiben zwischen Job und Familie, sei nur selten Thema. Ganz besonders schwer hätten es alleinerziehende Frauen, während alleinerziehender Männer mit großem Eifer unterstützt würden. "Wir haben zwei alleinerziehende Männer in unserem Betrieb" erzählte eine Dame. "Deren Kolleginnen bemühen sich sehr, ihnen unter die Arme zu greifen, Babysitting anzubieten und anderes. Das ist natürlich schön und lobenswert. Aber von allererziehenden Müttern erwartet man, dass sie das schon selber schaffen. Da ist die Hilfsbereitschaft nicht so groß."

 

Nicht weniger starr sind allerdings auch die gesellschaftlichen Erwartungen an den Mann. Gerade in den ländlichen Regionen Österreichs ist der Vater nach wie vor Haupternährer der Familie. Und der Druck ist auch groß, diesem gerecht zu werden. Die Folge ist, dass jeder Österreicher regelmäßig mehr als 50 Stunden die Woche arbeitet. Österreich liegt damit weit über dem OECD-Schnitt. Sich reinzuhängen für den Job, das gilt auch  ganz besonders auch in Österreich als ein Zeichen von Ehrgeiz, aber auch von männlicher Aufopferungsbereitschaft für die Familie. "Männer, die Teilzeit beantragen, sind häufig ambitionierte Sportler" erzählte ein Mann aus dem Publikum. "Das ist dann auch gesellschaftlich akzeptiert."

 

Auf großes Interesse stießen meine Ausführungen über die hohe Teilzeitquote bei Vätern in Holland. In den Niederlanden arbeitet jeder dritte Mann Teilzeit, inzwischen sogar jede zehnte Führungskraft, Tendenz steigend. Für österreichische Männer ist es dagegen häufig ein Mammutprojekt, vor dem Arbeitgeber Zeit für die Familie durchzuboxen. Es fehlt an einer Unternehmenskultur wie in Schweden, Norwegen oder Dänemark, in denen Mitarbeitern ein Leben neben der Arbeit zugestanden und pünktlich Feierabend gemacht wird.

 

"Wenn all diese Fakten auf der Hand liegen, warum ändert sich denn in der Politik nichts", empörte sich ein Zuhörer, und es wurde sehr still im Saal. "Es gibt all diese Studien, all diese Zahlen. Trotzdem wird nicht gehandelt." Das Beispiel Island zeige doch, was möglich wäre, wie leicht sich ganz grundsätzlich etwas für Familien ändern könne.

 

In Island müssen sich Eltern die Erziehungszeit gleichberechtigt aufteilen. Fünf Monate sind für die Mutter vorgesehen, fünf Monate für Vater, zwei weitere sind frei aufzuteilen. Väter, das ist für die Unternehmen auf Island klar, haben das gleiche Anrecht auf Zeit mit der Familie wie die Mütter. Sie können diese Zeit auch nicht an ihre Partnerinnen übertragen. Und darauf stellt sich die Wirtschaft ein. Mit dem Resultat, dass Frauen in Island im Global Gender Gap Report ganz weit oben stehen, alleinerziehende Mütter wesentlich seltener auf dem Abstellgleis landen und die Kinderarmut weitaus weniger verbreitet ist als in anderen europäischen Ländern.

 

Die Antworten liegen auf der Hand. Der Leidensdruck in Österreich ist da. Es braucht allerdings Politiker, die sich dieses Thema auch auf die Fahnen schreiben. Es braucht aber auch Unternehmen, die die Anforderungen des Privatlebens nicht als Karrierehindernis betrachten.